NATALIJA USAKOVA

Schon sehr früh hat Natalija Usakova ihr Thema entdeckt: fasziniert von den großartigen Porträts der Renaissance- Malerei, perfektionierte sie im Laufe ihres Studiums an der Kunstakademie Lettland in Riga nicht nur ihre malerische Technik, sondern neben dem Wissen um das altmeisterliche Handwerk und Können auf höchstem Niveau entwickelte sie eine brillante Auffassungs- und Beobachtungsgabe, die zu einer außerordentlich feinsinnigen Nuancierung der von ihr dargestellten Charaktere führte. Ganz zaghaft taucht dabei nach und nach ein neues Motiv und damit auch eine neue Motivation für ihr künstlerisches Schaffen auf: ein verlorener Blick, die leise Andeutung eines Lächelns, ein Augenaufschlag, die leichte Krümmung eines Mundwinkels durchziehen die Schönheit der reinen Oberfläche wie ein feiner Haarriß, lassen sie erzittern und erbeben, indem sie auf Abgründiges und Hintergründiges verweisen.
Die Begegnung mit der Malerei von Arnulf Rainer trifft die junge Künstlerin wie ein Schock. In seinen Übermalungen von Porträts erkennt sie einen Weg, sich endgültig von der traditionellen Auffassung der Porträt-Malerei zu lösen: „Ich male keine Gesichter, ich male Gefühle, Sehnsüchte, Träume, Ängste, Vergänglichkeit und Zweifel.“
Der schöne Schein des Sichtbaren, die maskenhafte Erstarrung der Oberfläche hält ihrem forschenden Blick nicht stand. Aufgebaut aus unendlichen Farbschichten und Lasuren, die immer wieder abgeschliffen und neu übermalt werden, ist das, was in den Arbeiten von Natalija Usakova in Erscheinung tritt, von Anfang an ein vielschichtiges Palimpsest, das jetzt in ihren neuesten Arbeiten zum tragenden Stilmittel wird. Gesichter verwandeln sich zu Gesichten, in denen sich Sichtbares und Unsichtbares durchdringen. Wenn Natalija Usakova Gesichter von anonymen Personen, die ihr oft im Internet begegnet sind, zum Teil übermalt, entdeckt sich im Verbergen und durch das Verborgene hindurch eine andere Seite der Wirklichkeit - vermeintlich Eindeutiges wird fragwürdig, Identitäten und Identifikationen geraten ins Trudeln: was ist das, was ich sehe, und das, indem ich es sehe, zu etwas anderem wird , so als ob das Sichtbare das Gesehene verstellt und das Gesehene hinter dem Sichtbaren verborgen wäre?